Being famous – Rubens Meisterwerk »Die Flucht nach Ägypten« zu Gast in Stuttgart

Seit 1735 in Kasseler Besitz tritt das eher kleinformatige Ölgemälde nun in der Sonderausstellung der Staatsgalerie Stuttgart »Becoming famous – Peter Paul Rubens« (22. Oktober 2021 – 20. Februar 2022) als Glanzstück der Präsentation auf. Nicht nur seine ungewöhnliche Komposition und das fantastische Spiel mit Licht und Schatten prädestinieren das Werk dafür, sondern auch die Tatsache, dass es sich um eines der wenigen datierten und signierten Werke des Barockmeisters hält.

Peter Paul Rubens, Die Flucht nach Ägypten, 1614, Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister

Ein Brief Peter Paul Rubens nach dem Tod Adam Elsheimers im Dezember 1610, in welchem er dessen „Flucht nach Ägypten“ erwähnt, führte zur Annahme, die Kasseler Tafel stünde in engster Verbindung zu besagter Kupferplatte, die sich heute in München in der Alten Pinakothek befindet (Inv. Nr. 216). Wenngleich es sich bei beiden um eindrucksvolle Nachtstücke handelt, so zeigt Rubens die Szene doch in ganz anderer Weise. Gerade das Verhältnis von Figuren- und Naturdarstellung fällt bei Rubens deutlich zugunsten der Heiligen Familie und ihren himmlischen Begleitern aus. Es handelt sich keinesfalls um ein direktes Zitat.

Auch von anderen Künstlern und deren stilistischen Besonderheiten hat Rubens sich inspirieren lassen. Eine große Bandbreite wurde ihm durch sein stetes Reisen, sei es als Künstlerreise oder im Rahmen eines diplomatischen Auftrages, mit Sicherheit geboten. Aus seiner Zeit in Italien war er mit den Meister südlich der Alpen bestens vertraut. So ging er nach Abschluss seiner Malerausbildung 1600 nach Mantua, wo er als Hofmaler des Herzogs Vincenzo Gonzaga angestellt wurde. In den acht Jahre studierte er die dortige Malerei sowie in anderen Städten wie Rom genau.  So zeugt die „Flucht aus Ägypten“ von Studien der Werke Caravaggios, betrachtet man die Figuren und ihre dramatische Inszenierung einmal genau. Aber das heißt keinesfalls, dass Rubens seine Kollegen kopierte. Vielmehr sammelte er die vielfältigen Eindrücke und verband sie mit seinen eigenen Vorstellungen in neuen Kompositionen: So konnte er einerseits sein Wissen um den ‚state of the art’ präsentieren und gleichzeitig seine Neuinvention als Verbesserung des Vorherigen inszenieren und sein individuelles Können hervorheben.

Dipl.-Rest. Katja van Wetten und Prof. Dr. Nils Büttner untersuchen die „Flucht nach Ägypten“ von Peter Paul Rubens

Für die Stuttgarter Ausstellung hat das Werk also mehrfachen Wert: Neben der grundsätzlichen Qualität, werden anhand der Tafel Rubens Strategien zur Inszenierung des eigenen Talents sichtbar, die durch Signatur und Datierung besonders eindrücklich vor Auge geführt werden.

Nennt mich de Graeff? Ein Kasseler Rembrandt zu Gast in Frankfurt

Das großformatige Porträt ist ohnehin ein besonderer Hingucker. In Kassel teilt es sich, abseits der Rembrandt-Galerie, normalerweise einen Platz mit eindrucksvollen Werken von Tischbein bis Tizian in der Ganzfigurengalerie im Florasaal und nun macht er in der aktuellen Sonderausstellung des Städel Museums „Nennt mich Rembrandt“ (6.10.2021–30.1.2022) in Frankfurt ebenfalls eine gute Figur (Abb. 1).

Abb. 1: Rembrandt Harmensz. van Rijn: Bildnis eines stehenden Herrn in ganzer Figur, 1639, MHK

Der in Leiden geborene Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606–1669) etablierte sich und seine bis heute berühmte Marke, die auf eigenes Bestreben hin durch seinen Vornamen betitelt wurde, in Amsterdam und erhielt darüber hinaus zahlreiche Porträtaufträge aus Leiden oder auch Den Haag. Diese überregionale Tätigkeit gehörte zu jener Zeit nicht zur Regel und zeugt vom großen Erfolg des Künstlers bereits zu Lebzeiten. Die Frankfurter Ausstellung widmet sich jener Anfangszeit, aus welcher eben auch das Kasseler Werk stammt.

Diese spezielle Form des Porträts unterscheidet sich von den halbfigürlichen Darstellungen vor allem durch die verstärkte Präsenz, durch welche die Person quasi vor Ort geholt wird. Solche Bildnisse entwickelten sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts zunächst im höfischen Kontext – direkt hat man einen absolutistischen Herrscher im Nerz vor dem inneren Auge –, aber waren eben auch in der Folge für das bürgerliche Umfeld eine durchaus beliebte Bildvariante, mit welcher man sich in Szene setzen konnte. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfuhr die Amsterdamer Oberschicht durch den wirtschaftlichen Aufschwung des ‚Goldenen Zeitalter‘ ebenfalls einen Zuwachs und somit wuchs auch Rembrandts Klientel. Wohlhabende Ehepaare ließen sich auf großen Leinwänden porträtieren, wovon diverse Pendantbildnisse – auch in der Kasseler Sammlung – zeugen.

Abb. 2: Blick in den Florasaal im 1. OG Gemäldegalerie Alte Meister, MHK

Die Person hinter dem Bildnis eines stehenden Herrn in ganzer Figur, das bereits von Landgraf Wilhelm VIII. 1752 erworben wurde,ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Vermutlich handelt es sich um den Amsterdamer Staatsmann und Bürgermeister Andries de Graeff (1611–1678). Der auffällige Handschuh im Vordergrund lässt sich ebenfalls verschiedenartig deuten: als geworfener Fehdehandschuh zur Aufforderung zum Kampf, die entblößte Hand als Zeichen von Offenheit und Ehrlichkeit oder als Hochzeitssymbol, die Entscheidungsgewalt des Mannes repräsentierend. Doch über ein weibliches Gegenstück zu dem Gemälde ist nichts bekannt. So hängt der Kasseler Gast auch in Frankfurt nicht in Damengesellschaft, sondern wird begleitet vom Bildnis eines stehenden Mannes von Nicolaes Eliasz. Pickenoy aus der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe (Abb. 3) – umgeben von ehelichen Pendantbildnissen ein Paar, das ins Auge fällt.

Abb. 3: Dr. Justus Lange, Leiter der Gemäldegalerie Alte Meister, zwischen den beiden Gemälden während der Eröffnung der Frankfurter Ausstellung.

“All’alta fantasia qui mancò possa.” – Dante zum 700. Todestag

So bescheiden am Ende des Meisterwerkes die mangelnde Sprachkraft für die Schau des Göttlichen umschrieben wird, so beeindruckend und bildgewaltig ist das Werk im Ganzen. Der Schriftsteller Dante Alighieri (1265–1321) ist vor allem für seine Divina Commedia (dt. Göttliche Komödie) bekannt, in welcher er seine Reise durch das Jenseits beschreibt. Die herausragende Stellung dieses Werkes für die Verfestigung des westlichen Jenseitsverständnisses ist bis heute ungebrochen.

Abb. 1 – Cornelius Galle d. Ä. (Stecher): Dante Alighieri, Beatrice Portinari, Publius Vergilius Maro und Publius Papinius Statius, um 1595, Kupferstich, MHK

Was ist nun aber der Grund des besonderen Interesses aus Kasseler Sicht? Gut 1.100 km trennen Florenz und Kassel und doch sind sie sich näher als gedacht: Seit 1952 besteht unter dem Motto „Kulturbegeisterung baut Brücken“ die Verbindung der beiden Städte, die nicht zuletzt von der Deutsch-Italienischen-Gesellschaft in Kassel bestärkt wird. Da versteht es sich natürlich von selbst einem der berühmtesten Kinder der Partnerstadt zum Jubiläum besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

1265 wurde Dante in Florenz geboren. Sowohl Poesie als auch Politik waren für ihn von Interesse: Neben der ersten Veröffentlichung, der Vita Nuova, übernimmt er außerdem politische Ämter in seiner Heimatstadt. Trotz seiner Hochzeit mit Gemma Donati, ist es eine andere Dame, welche Dante in seinen Schriften beschäftigt: Beatrice. Doch nicht nur von dieser wird Dante getrennt sein. Aufgrund der Rivalitäten der Ghibellinen und Guelfen (Kaiser- bzw. Papsttreue) muss der Poet seine geliebte Heimatstadt verlassen und lebt ab 1302 im Exil, in welchem er die Commedia verfasst. Unterteilt ist das Erlebnis in drei Abschnitte – Hölle, Fegefeuer und Himmel – durch welche er vom antiken Dichter Vergil geführt wird. Verschiedene Bezüge zu historischen Charakteren zeugen sowohl von Liebe als auch Abneigung seiner Heimatstadt gegenüber. Beatrice wird zur Leitfigur der unerfüllten Nähe und übernimmt im letzten Teil die Führung des Poeten durch die himmlischen Sphären. Kurz nach Vollendung der Commedia verstirbt Dante am 14.09.1321 in Ravenna.

In der Kasseler Sammlung befinden sich verschiedene Werke, die einen direkten oder indirekten Bezug zu Dante aufweisen. Einige Stiche zeigen das markante Gesicht mit dem Lorbeerkranz (Abb. 1), wohingegen Trübners großformatiges Ölbild in der Neuen Galerie (Abb. 2) eindrucksvoll eine Passage des Infernos illustriert (Inf. 5).

Abb. 2 – Heinrich Wilhelm Trübner, Szene aus Dantes „Göttlicher Komödie“, 1880, MHK

Aber auch Dante erfand das Jenseits natürlich nicht gänzlich neu, sondern rezipierte bis in die Antike reichende Modelle, die das Leben nach dem Tod definierten. Die Cebes-Tafel Pieter Claessens zeigt Hades und Elysium (Abb. 3), sozusagen die vorchristlichen Pendants zu Inferno und Paradiso. Auch hier werden bereits Fromme und Sünder nach dem Tod entweder für ihr vorbildlichen Leben belohnt oder müssen ihre Strafe verbüßen.

Abb. 3 Pieter Claeissens, Cebestafel, um 1563-1568, MHK

Es finden sich also viele gute Gründe Dante und die Commedia einmal mehr in den Fokus zu rücken. So widmet sich auch die Gemäldegalerie Alte Meister zu seinem 700. Jubiläum der Thematik und betrachtet einmal näher die Jenseitsreisen in den eigenen Beständen und ihre Verbindung zum Florentiner Poeten.