Fjodor Michailowitsch Dostojewski zum 200. Geburtstag

„Aber der wahre Bruder Dostojewskis durch die Zeiten ist Rembrandt“ schrieb Stefan Zweig vor 100 Jahren und brachte damit den großen russischen Schriftsteller mit dem nicht minder berühmten Künstler des niederländischen 17. Jahrhunderts in Zusammenhang. Die Werke beider Künstler erfreuen sich bis heute ungebrochener Beliebtheit, gerade in Deutschland, obwohl sie als Menschen eher schwierig waren. Das Verbindende für Zweig war vor allem der Umgang mit Licht und Schatten und so führte er weiter über Dostojewski aus: „In seine Romane tritt man ein wie in ein dunkles Zimmer. Man sieht nur Umrisse, hört undeutliche Stimmen, ohne recht zu fühlen, wem sie zugehören. Erst allmählich gewöhnt sich, schärft sich das Auge: wie auf den Rembrandtschen Gemälden beginnt aus einer tiefen Dämmerung das feine seelische Fluidum in den Menschen zu strahlen.“

In keinem Land außerhalb Russlands lebte der Schriftsteller so lange wie in Deutschland. Ob Dostojewski jedoch jemals in Kassel war, ist nicht bekannt. Wenn ja, dann hätte er auf einen Doppelgänger treffen können, einen „wahren Bruder“. Rembrandts „Büste eines kahlköpfigen alten Mannes“ mutet fast wie ein Zwilling von Perovs Porträt Dostojewskis an.

Rembrandts Gemälde entstand 1632 in Rembrandts Werkstatt und zeigt exemplarisch seine Behandlung von Licht und Schatten. Der Kopf ist vornüber geneigt, so dass der Blick auf den kahlen Schädel fällt. Nur dünnes Haar bedeckt die Schläfen oberhalb der Ohren. Wenig ist von dem dunklen Gewand zu erkennen, das vor der Brust geschlossen ist. Allein den Kopf trifft ein helles Licht von links oben, selbst der Hintergrund ist in einem neutralen dunklen Ton gehalten. Auf der belichteten Seite fällt das dunkle Auge des Alten besonders auf, während das andere im Schatten verschwimmt. In ähnlicher Pose, den Blick nach unten gerichtet, tritt uns Dostojewski gegenüber. Perovs Gemälde entstand 240 Jahre später und gilt heute als das beste Porträt des Schriftstellers. Beide Gemälde sind in ihrer Art ungewöhnlich, sie zeigen in erster Linie den Menschen. Für Stefan Zweig war dies der Kern ihres Schaffens: „Je mehr man in die Tiefe der Bilder Rembrandts, der Bücher Dostojewskis blickt, sieht man das letzte Geheimnis der weltlichen und geistigen Formen sich entringen: Allmenschlichkeit.“

Поздравления Федора Михайловича / Herzlichen Glückwunsch Fjodor Michailowitsch

Nennt mich de Graeff? Ein Kasseler Rembrandt zu Gast in Frankfurt

Das großformatige Porträt ist ohnehin ein besonderer Hingucker. In Kassel teilt es sich, abseits der Rembrandt-Galerie, normalerweise einen Platz mit eindrucksvollen Werken von Tischbein bis Tizian in der Ganzfigurengalerie im Florasaal und nun macht er in der aktuellen Sonderausstellung des Städel Museums „Nennt mich Rembrandt“ (6.10.2021–30.1.2022) in Frankfurt ebenfalls eine gute Figur (Abb. 1).

Abb. 1: Rembrandt Harmensz. van Rijn: Bildnis eines stehenden Herrn in ganzer Figur, 1639, MHK

Der in Leiden geborene Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606–1669) etablierte sich und seine bis heute berühmte Marke, die auf eigenes Bestreben hin durch seinen Vornamen betitelt wurde, in Amsterdam und erhielt darüber hinaus zahlreiche Porträtaufträge aus Leiden oder auch Den Haag. Diese überregionale Tätigkeit gehörte zu jener Zeit nicht zur Regel und zeugt vom großen Erfolg des Künstlers bereits zu Lebzeiten. Die Frankfurter Ausstellung widmet sich jener Anfangszeit, aus welcher eben auch das Kasseler Werk stammt.

Diese spezielle Form des Porträts unterscheidet sich von den halbfigürlichen Darstellungen vor allem durch die verstärkte Präsenz, durch welche die Person quasi vor Ort geholt wird. Solche Bildnisse entwickelten sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts zunächst im höfischen Kontext – direkt hat man einen absolutistischen Herrscher im Nerz vor dem inneren Auge –, aber waren eben auch in der Folge für das bürgerliche Umfeld eine durchaus beliebte Bildvariante, mit welcher man sich in Szene setzen konnte. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfuhr die Amsterdamer Oberschicht durch den wirtschaftlichen Aufschwung des ‚Goldenen Zeitalter‘ ebenfalls einen Zuwachs und somit wuchs auch Rembrandts Klientel. Wohlhabende Ehepaare ließen sich auf großen Leinwänden porträtieren, wovon diverse Pendantbildnisse – auch in der Kasseler Sammlung – zeugen.

Abb. 2: Blick in den Florasaal im 1. OG Gemäldegalerie Alte Meister, MHK

Die Person hinter dem Bildnis eines stehenden Herrn in ganzer Figur, das bereits von Landgraf Wilhelm VIII. 1752 erworben wurde,ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Vermutlich handelt es sich um den Amsterdamer Staatsmann und Bürgermeister Andries de Graeff (1611–1678). Der auffällige Handschuh im Vordergrund lässt sich ebenfalls verschiedenartig deuten: als geworfener Fehdehandschuh zur Aufforderung zum Kampf, die entblößte Hand als Zeichen von Offenheit und Ehrlichkeit oder als Hochzeitssymbol, die Entscheidungsgewalt des Mannes repräsentierend. Doch über ein weibliches Gegenstück zu dem Gemälde ist nichts bekannt. So hängt der Kasseler Gast auch in Frankfurt nicht in Damengesellschaft, sondern wird begleitet vom Bildnis eines stehenden Mannes von Nicolaes Eliasz. Pickenoy aus der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe (Abb. 3) – umgeben von ehelichen Pendantbildnissen ein Paar, das ins Auge fällt.

Abb. 3: Dr. Justus Lange, Leiter der Gemäldegalerie Alte Meister, zwischen den beiden Gemälden während der Eröffnung der Frankfurter Ausstellung.