Das großformatige Porträt ist ohnehin ein besonderer Hingucker. In Kassel teilt es sich, abseits der Rembrandt-Galerie, normalerweise einen Platz mit eindrucksvollen Werken von Tischbein bis Tizian in der Ganzfigurengalerie im Florasaal und nun macht er in der aktuellen Sonderausstellung des Städel Museums „Nennt mich Rembrandt“ (6.10.2021–30.1.2022) in Frankfurt ebenfalls eine gute Figur (Abb. 1).
Der in Leiden geborene Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606–1669) etablierte sich und seine bis heute berühmte Marke, die auf eigenes Bestreben hin durch seinen Vornamen betitelt wurde, in Amsterdam und erhielt darüber hinaus zahlreiche Porträtaufträge aus Leiden oder auch Den Haag. Diese überregionale Tätigkeit gehörte zu jener Zeit nicht zur Regel und zeugt vom großen Erfolg des Künstlers bereits zu Lebzeiten. Die Frankfurter Ausstellung widmet sich jener Anfangszeit, aus welcher eben auch das Kasseler Werk stammt.
Diese spezielle Form des Porträts unterscheidet sich von den halbfigürlichen Darstellungen vor allem durch die verstärkte Präsenz, durch welche die Person quasi vor Ort geholt wird. Solche Bildnisse entwickelten sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts zunächst im höfischen Kontext – direkt hat man einen absolutistischen Herrscher im Nerz vor dem inneren Auge –, aber waren eben auch in der Folge für das bürgerliche Umfeld eine durchaus beliebte Bildvariante, mit welcher man sich in Szene setzen konnte. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfuhr die Amsterdamer Oberschicht durch den wirtschaftlichen Aufschwung des ‚Goldenen Zeitalter‘ ebenfalls einen Zuwachs und somit wuchs auch Rembrandts Klientel. Wohlhabende Ehepaare ließen sich auf großen Leinwänden porträtieren, wovon diverse Pendantbildnisse – auch in der Kasseler Sammlung – zeugen.
Die Person hinter dem Bildnis eines stehenden Herrn in ganzer Figur, das bereits von Landgraf Wilhelm VIII. 1752 erworben wurde,ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Vermutlich handelt es sich um den Amsterdamer Staatsmann und Bürgermeister Andries de Graeff (1611–1678). Der auffällige Handschuh im Vordergrund lässt sich ebenfalls verschiedenartig deuten: als geworfener Fehdehandschuh zur Aufforderung zum Kampf, die entblößte Hand als Zeichen von Offenheit und Ehrlichkeit oder als Hochzeitssymbol, die Entscheidungsgewalt des Mannes repräsentierend. Doch über ein weibliches Gegenstück zu dem Gemälde ist nichts bekannt. So hängt der Kasseler Gast auch in Frankfurt nicht in Damengesellschaft, sondern wird begleitet vom Bildnis eines stehenden Mannes von Nicolaes Eliasz. Pickenoy aus der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe (Abb. 3) – umgeben von ehelichen Pendantbildnissen ein Paar, das ins Auge fällt.