Bordelle, Fitnessstudios, Museen?

Die Diskussionen um das neue Infektionsschutzgesetz haben einmal mehr die Frage aufgeworfen, was sind eigentlich Museen. Elitäre Musentempel, Eventbuden oder Ort eines nachhaltigen Kulturerlebnisses?

Vielleicht nur der Unachtsamkeit geschuldet, waren im ersten Entwurf zu dem neuen Gesetz Museen jedoch in einem Atemzug mit Fitnessstudios und Bordellen genannt, was zu heftiger medialer Kritik im Kulturbetrieb führte.

Ausschnitt aus dem Gemälde von Johann Lys »Ein Gelage von Soldaten und Dirnen«, um 1597-1631

Natürlich hinkt der Vergleich zwischen diesen ehrenwerten Institutionen in höchstem Maße. Wer würde es beim Besuch eines Bordells nur bei stiller Betrachtung belassen wollen? Im Museum jedoch ist das Anfassen der Objekte der Begierde (in der Regel) strikt untersagt. Aber ein Besuch im Fitnessstudio kann ebenso schweißtreibend sein, wie der Besuch einer Ausstellung mit dem Klassenlehrer oder der Klassenlehrerin. Und in einem Bordell…. Die Ursache des Schweißausbruchs ist allerdings jeweils etwas ganz Anderes.

Es ist also gar nicht zu leicht, diese Frage zu entscheiden. Wie so oft, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Am 6. Mai 1886 hatte Pfarrer Dr. Hermann Richter aus Mühlheim an der Ruhr an den preußischen Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten ein umfangreiches Beschwerdeschreiben über Gemälde in der Kasseler Gemäldegalerie geschickt, deren Betrachtung ihn sehr verärgert hatten: »Zu diesen Bildern, die das sittliche Gefühl bei unserem Anschauen tief verletzen, und auf die den Unterzeichneten ein mündiger, gebildeter in Cassel gebürtiger und ansässiger Herr aufmerksam machte gehören u.a. Folgende […] Nr. 163 ein Trinkgelage von Jan Lys gen. Pan im Volksmunde wie mir gesagt wurde, das Hurenhaus genannt, eine Gruppe zechender Offiziere und Mätressen, wo im Vordergrunde eine den Rücken dem Beschauer zukehrende Hetäre deutlich in die vorne geöffneten Beinkleider eines Offiziers greift.« Das brachte die sauberen Herren – Frauen waren damals im Museumsbetrieb noch nicht bekannt – in Verlegenheit. Im Antwortschreiben an Pfarrer Richter heißt es nicht ohne Humor: »Das s.g. Bordell Nr. 163 stellt allerdings recht bedenkliche Situationen dar, ist aber ein schön gemaltes Bild, welches Kunstkenner nur ungern vermissen würden. Ich glaube, daß es genügt, wenn dasselbe nicht nur, wie schon jetzt, hoch, sondern auch an eine Rückwand gehängt wird, wo es nur der Suchende findet. Diese Platzveränderung wird ausgeführt werden.«

Ausschnitt aus dem Gemälde von Johann Lys »Ein Gelage von Soldaten und Dirnen«, um 1597-1631

Also wenn Museen etwas von einem Bordell haben sollten, dann schnell etwas höher und an die Rückwand gehängt, dann passt das schon. Bordelle findet der Suchende ja auch nicht in der Fußgängerzone.

Wie ist es nun mit den Fitnessstudios? Natürlich könnte man den bekannten Vergleich von körperlicher und geistiger Fitness heranziehen: mens sana in corpore sano. Aber das wäre doch etwas zu einfach, denn im Museum kann es auch handfest zugehen, wie das Bild des Boxkampfes in London von Andreas Möller zeigt. Da kommt neben der geistigen Fitness doch das Körperliche nicht zu kurz.

Ein Boxkampf in London, 1737, Gemäldegalerie Alte Meister, MHK

Und als hätten wir es geahnt, dass irgendwann einmal ein kluger Geist auf die Idee kommt, Museen mit Bordellen und Fitnessstudios auf eine Stufe zu stellen, hängen beide Gemälde direkt nebeneinander. Wenn das kein Grund ist, mal wieder ins Museum zu gehen (wenn es denn wieder offen ist wie die Bordelle und Fitnessstudios)?

Blick in die Gemäldegalerie Alte Meister in Kassel

Sonderausstellung »Moderne für Jedermann. Kunst und Ware im Jugendstil«

Die Türen der Neuen Galerie sind wieder geöffnet und eine neue Sonderausstellung lädt zu einer stilvollen Zeitreise ein. Wir haben einen Blick hineingeworfen. Der achteckige elektrische AEG-Wasserkessel empfängt uns kunstvoll verformt auf der Eingangswand der Ausstellung. Denn dort, irgendwo zwischen Kunst und Ware, zeigt sich der Kern des Jugendstils: Ziel und Ansporn der Künstler war es, die menschliche Lebensumwelt ästhetisch zu gestalten – von der Architektur bis zum Haushaltsgegenstand.

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