Ein Meisterwerk voller Rätsel

Im Schloss Wilhelmshöhe lächelt sie den Besuchern entgegen: Leda mit ihren Kindern, gemalt von Giampietrino. Aktuell ist dem Gemälde dort eine eigene Ausstellung gewidmet. Kuratorin Dr. Carina Weißmann erzählt, was der Schüler Giampietrino von seinem Meister Leonardo da Vinci abgezeichnet hat und was seinem eigenen Pinsel entsprungen ist.

Ausstellungsansicht »Der Leda Code. Ein Meisterwerk voller Rätsel«, Foto Bernd Schoelzchen, MHK

Worum geht es in der Ausstellung? CW: »Zu Beginn der Ausstellung wird der antike Mythos um Leda, eine schöne Königin von Sparta, erzählt: Ihr nähert sich der Göttervater Zeus in Gestalt eines Schwanes und schwängert sie. Noch in der gleichen Nacht schläft auch Ledas Ehemann mit ihr. Skandalös ist, dass sie zwei Eier mit vier Kindern bekommt, darunter auch die schöne Helena, wegen der später der Trojanische Krieg geführt wird. Im weiteren Verlauf der Ausstellung steht dann die Geschichte des Gemäldes und die seiner Sammler im Vordergrund.«

Giampietrino, Leda mit ihren Kindern, um 1520, Gemäldegalerie Alte Meister, Foto Bernd Schoelzchen, MHK

Wie beginnt die Geschichte des Gemäldes? CW: »Das Bild entstand um 1510-20 vermutlich in Mailand. Der Maler Giampietrino war ein Schüler Leonardo da Vincis. Leonardo erfand das Bildmotiv der Leda neu: Er zeigte sie in kniender oder stehender Pose, während vorherige Darstellungen meistens die möglichen und unmöglichsten Stellungen beim Sex mit einem Schwan abbildeten. Zwar gibt es keine Originale von Leonardo mehr, aber die Kopien seiner Werkstatt haben sich erhalten. An einer Medienstation in der Ausstellung kann man die verschiedenen Ledas übereinanderlegen und sieht so recht deutlich, wie die Schüler Kartons mit den Ideen des Meisters als Vorlage nutzten und welche Details sie variierten.«

Medienstation in der Ausstellung, Foto Bernd Schölzchen, MHK

Hat Giampietrino auch mit Vorlagen Leonardo da Vincis gearbeitet? CW: »Ja! Durch Röntgenaufnahmen konnten wir herausfinden, dass er ursprünglich eine Anna Selbdritt, also die heilige Anna mit Maria und Jesuskind, vorzeichnete. Wahrscheinlich kam dann aber der Auftrag für das Gemälde ‚Leda mit ihren Kindern‘ dazwischen. Wer das Bild bestellt hat und warum, können wir nur vermuten. Sehr wahrscheinlich war es für die Geburt durch eine höhergestellte Person gedacht. Darauf deutet auch, dass die vier Kinder bereits aus den Eiern geschlüpft sind. Aus diesem Grund sehen wir auch keinen Schwan auf dem Gemälde: Wir können auf den Röntgenaufnahmen erkennen, dass er im Bild angelegt ist, dann aber wahrscheinlich ‚überflüssig‘ wurde.«

Röntgenaufnahmen zeigen Unterzeichnungen, Foto Bernd Schölzchen, MHK

Giampietrino hat also die Idee von Leonardo nochmal weiterentwickelt und damit die Geschichte der Leda weitererzählt? CW: »Richtig, durch die Kinder und die Eierschalen ist der Schwan als Idee anwesend, aber eben nur für denjenigen, der den Mythos kennt. Leda wird dadurch von der begehrenswerten Frau zur liebenswürdigen Mutter. Und tatsächlich wurde das Gemälde auch als eine Caritas, also der personifizierten Fürsorge, für Kassel 1756 erworben. Damals wurde es als echter ‚Leonardo‘ gehandelt und es waren Übermalungen aufgetragen, die um 1825 wieder entfernt wurden: Ein Tuch verhüllte den Unterleib der Caritas und eines der Kinder sowie die Eierschalen verschwanden.«

Gemälde »Leda mit ihren Kindern« mit Übermalungen, MHK, Gemäldegalerie Alte Meister, Foto Bernd Schoelzchen, MHK

Warum machte man aus der Caritas wieder eine Leda? CW: »Aus einem Grund: Geld. Erstens erzielten auf dem Kunstmarkt mythologische Gemälde mit erotischen Motiven höhere Preise. Und zweitens gibt es eine Quelle, die besagt, dass im Schloss Fontainebleau im 17. Jahrhundert eine Leda hing. Diese Leda soll von Leonardo für König Franz I. gemalt worden sein. Mit so einer Provenienz konnte man natürlich viel mehr verlangen.«

Das Gemälde ist ja 1756 nach Kassel gekommen, warum tauchte es dann überhaupt auf dem Kunstmarkt auf? CW: »Das Gemälde sollte 1806 während der französischen Herrschaft nach Malmaison, das Schloss der Kaiserin Joséphine, gebracht werden. Es kam dort aber nie an. Die verlorene Kiste Nr. 6 ist auch ein Kapitel in der Ausstellung und erzählt von der weiteren Odysee des Bildes. Dass es dann wieder nach Kassel kam, ist aber letztendlich Hans Vogel, dem ehemaligen Direktor der Staatlichen Museen zu verdanken.«

Sonderauststellung
Der Leda Code. Ein Meisterwerk voller Rätsel.
1. November 2019 bis 2. Februar 2020 im Schloss Wilhelmshöhe
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